Oft versuchen wir uns auf eine Sache zu konzentrieren und merken nach einer Weile, wie schwierig eben dies sein kann: sich auf eine Sache zu konzentrieren. Tausend Dinge fallen uns genau dann ein: die Konzertkarten, die wir noch bestellen, der Rückruf, den wir noch erledigen, das Geburtstagsgeschenk, das wir noch besorgen wollten. Die tausend kleinen Aufgaben des Alltags also, die wie eine Horde kleiner Kinder im 30-Sekunden-Takt an unserem Ärmel zupfen und um unsere Aufmerksamkeit kämpfen. Eine Horde, die ständig wächst durch die vielen Benachrichtigungen, die alle paar Minuten auf verschiedenen Bildschirmen klingeln, biepen, blinken und hüpfen. Und dabei hatten wir uns doch fest vorgenommen, uns auf nur eine Sache zu konzentrieren…
Handelt es sich dabei vielleicht um eine Fähigkeit, die uns im Zeitalter der permanenten Vernetzung schlicht abhanden gekommen ist? Und von der alle digital natives noch nicht einmal wissen, dass es sie gibt – jene armen Kreaturen also, die nach 1980 geboren wurden?
Liebe Kulturpessimisten, ich habe schlechte Nachrichten: das Problem ist so alt wie die Welt. Nun gut, vielleicht etwas jünger, aber man kennt es zumindest seit 2500 Jahren, was wir für heute einmal als „so alt wie die Welt“ durchgehen lassen wollen. Seit einer Zeit also, in der man noch einen Marathon laufen musste, um eine dringende Botschaft zu übermitteln.
Eine der ersten Beschreibungen des Phänomens wird keinem Geringeren als dem indischen Prinzen Siddharta Gautama zugeschrieben. Er verglich die Unstetigkeit des Geistes mit einem Affen, der von Ast zu Ast springt (und der manchmal zusätzlich betrunken ist und gerade von einer Biene gestochen wurde).
Falls Dir das Phänomen bekannt vorkommt, solltest Du einmal Meditation ausprobieren. Dazu brauchst Du keinen Guru, kein buddhistisches Kloster und kein Mantra. Ein ruhiger Platz in Deiner Wohnung genügt. Setz Dich einfach aufrecht auf einen Stuhl, konzentriere Dich auf den Atem, der an Deiner Nasenspitze vorbeiströmt, und zähle die Atemzüge. Einatmen, ausatmen, eins. Einatmen, ausatmen, zwei. Einatmen, ausatmen, drei. Probier es aus: Du wirst sehen, dass sich Dein Gedanken-Affe zuerst heftiger als zuvor von Ast zu Ast schwingt, sich danach aber langsam beruhigen wird. Statt als rasenden Affen kannst Du Dir Deine Gedanken jetzt auch als Wolken vorstellen: sie kommen, aber Du beachtest sie nicht weiter und lässt sie vorbeiziehen. Drei Minuten genügen am Anfang völlig. Danach vielleicht einmal fünf oder zehn Minuten wagen. Eine lesenswerte Einführung in Kurzzeitmeditation ist übrigens das Buch von Harp/Feldman 1993 (siehe Literaturhinweise).
Sobald Du es schaffst, Deinen Geist auf das Zählen Deiner Atemzüge – und sonst nichts – zu richten, fällt es Dir vielleicht auch bald leichter, beim Studium oder bei der Arbeit bei einer Sache zu bleiben. Und dann kann jede Tätigkeit selbst zu einem Zustand führen, welcher der meditativen Versenkung sehr ähnelt: dem Flow.
Wie zähmst Du Deinen betrunkenen Affen?
Bildnachweis: Macaca fascicularis – crab-eating macaque – Tarutao National Marine Park on flickr.com (creative commons-Lizenz, bestimmte Rechte vorbehalten: CC BY-SA 2.0). Homepage: https://www.thainationalparks.com/tarutao-national-marine-park
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