Wie ein einziges Softwarepaket dafür sorgt, dass Linux-Desktops weiterhin keine Chance haben.
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Die gute Nachricht gleich zu Beginn: Der Anteil an Linux-Desktops hat sich in den letzten fünf Jahren weltweit verdoppelt. Die schlechte Nachricht lautet allerdings, dass diese Verdopplung sich lediglich von vorher 0,8 auf jetzt 1,6 Prozent Marktanteil abgespielt hat. Zum Vergleich: Windows ist auf ca. 75 Prozent der Desktops weltweit installiert – vom veralteten XP bis hin zum aktuellen Windows 10. Das Mac-Betriebssystem kommt auf einen Marktanteil von ca. 10 Prozent (erfahre mehr).
Auch wenn sich die Gerüchte hartnäckig halten, ein Linux-Rechner sei nur etwas für Computerexperten: Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein. Wer einen Windows-Rechner oder einen Mac bedienen kann, wird mit einem Linux-Desktop ebenso gut klarkommen. Hier hat sich in Sachen Benutzerfreundlichkeit in den letzten Jahren eine Menge getan. So ist z. B. die auf Ubuntu basierende Distribution Linux Mint gerade für Windows-Umsteiger weitgehend intuitiv zu bedienen.
Für einen Linux-Desktop sprechen mehrere gute Gründe:
- Linux-Rechner sind deutlich besser gegen Schadsoftware geschützt als Windows-Rechner. Das konnte man zuletzt im Frühjahr 2017 bei dem Trojaner WannaCry beobachten, der ausschließlich Windows-Rechner befiel (erfahre mehr). Wer aus Zeitgründen bei Windows bleibt, macht also möglicherweise eine Milchmädchenrechnung: Der Zeitaufwand, um einen Viren- oder Trojanerbefall zu beseitigen, kann auf einen Schlag um ein vielfaches höher sein als der für einen Umstieg auf Linux.
- Linux-Rechner laufen äußerst stabil. Wenn ein Programm abstürzt, kann man es fast immer beenden, ohne dass ein Neustart notwendig wäre.
- Linux-Rechner benötigen in der Regel deutlich weniger Rechenleistung als Windows-Rechner. Einmal gekaufte Hardware kann daher häufig viel länger genutzt werden.
- Für Linux fallen keine Lizenzgebühren an. Für Windows dagegen schon. Das ist vielen Nutzern nicht bewusst, da diese Gebühren meist im Anschaffungspreis des Rechners versteckt sind.
- Linux-Distributionen werden häufig aktualisiert, in der Regel alle 6 Monate. Entdeckte Sicherheitslücken werden auch zwischendurch geschlossen, meist in kürzester Zeit.
- Linux-Betriebssysteme sind Open Source. Daher können sie von der Community auf Hintertüren (erfahre mehr) für Firmen oder Geheimdienste überprüft werden. Sie sind somit auch in dieser Hinsicht deutlich sicherer als die (Closed-Source-)Betriebssysteme kommerzieller Anbieter.
Wie kommt es, dass die Linux-Gemeinde trotz allem nur so schleppend wächst? Nun, nachvollziehbar ist die Zurückhaltung der Nutzer beim Wechsel des Betriebssystems allemal – schließlich sind wir alle Gewohnheitstiere. Was bisher funktioniert hat, möchten wir in der Regel einfach weiter verwenden. Und Sicherheitsprobleme sind für die Nutzer erst einmal hypothetisch und können daher leicht beiseite geschoben werden. Zudem ist Windows bei fast allen neuen Computern vorinstalliert. Dabei bleibt es in aller Regel.
Der Wechsel zu einem Linux-Desktop hat aber selbst für alle, die aus den oben genannten Gründen dazu entschlossen sind, einen riesigen Haken. Dieser Haken trägt den Namen Microsoft Office. Ich möchte meine eigenen Erfahrungen mit diesem Thema schildern, weil sie nicht ganz untypisch für viele Wissensarbeiter sein dürften.
Ursprünglich ein Windows-Nutzer, sammelte ich meine ersten Erfahrungen mit Linux schon vor knapp 15 Jahren, damals noch mit SUSE Linux. Das bewährte sich in der Praxis allerdings noch nicht – es traten einfach zu viele Probleme auf, vor allem mit der Hardwareunterstützung. Ich kehrte daher nach kurzer Zeit zu Windows zurück.
Anfang 2013 – ich stand gerade am Beginn der intensiven Schreib- und Überarbeitungsphase meiner Dissertation – kaufte ich mir ein MacBook Air. Mich überzeugte die bei einem Preis von ca. 1000 Euro überragende Hardware des Geräts, die übrigens bis heute einwandfrei funktioniert. Auch das Betriebssystem und viele Programme, die ich installierte, waren sehr durchdacht, ausgereift und sicher. Zudem hatte Windows spätestens seit der Einführung von Windows 8 in Sachen Datenschutz einen zunehmend schlechten Ruf.
Doch auch als Mac-Nutzer ließ mich die Idee eines freien Betriebssystems nicht los. Ich verfolgte daher die Entwicklung der Linux-Distributionen weiter aufmerksam. Anfang 2016 tat ich einen gewagten Schritt: Ich installierte Ubuntu Linux mit dem Unity-Desktop auf meinem Mac. (Ja, das geht!) Abgesehen von kleinen Einbußen in der Akku-Laufzeit, die für mich nicht besonders ins Gewicht fielen, arbeitete ich mit meinem Linux-Mac ein Jahr lang ohne nennenswerte Probleme. Aus Neugier sattelte ich dann auf Linux Mint um, die bereits erwähnte und ebenfalls Ubuntu-basierte Distribution, die ich etwa ein halbes Jahr lang nutzte. Die Oberfläche von Linux Mint namens „Cinnamon“ gefiel mir so gut, dass ich den Eindruck hatte, endlich das für mich in jeder Hinsicht passende freie Betriebssystem gefunden zu haben.
Wenn, ja wenn das leidige Thema Microsoft Office nicht wäre.
Microsoft Office ist für viele Nutzer die unangefochtene Nummer 1 im Bürosoftware-Markt. Viele kennen leistungsfähige und kostenlose Alternativen wie LibreOffice (erfahre mehr) allenfalls vom Hörensagen.
Microsoft Office steht für Windows, Mac und Android zur Verfügung. Zudem gibt es eine einen webbasierten Dienst, allerdings mit eingeschränkter Funktionalität.
Aufmerksamen Lesern dürfte aufgefallen sein, dass Linux-Desktops nicht in dieser Aufzählung vorkommen. In der Tat ist MS Office für Linux bislang leider nicht zu bekommen. Es gibt zwar Tricks, ältere Office-Versionen auch unter Linux zu betreiben (erfahre mehr). Meine eigenen Versuche in diesem Bereich endeten allerdings ausnahmslos in tiefem Frust.
Linux ist inzwischen zum führenden Betriebssystem für Server geworden. Aber auch im Bereich der Endanwender-Desktops hat es in den letzten Jahren von sich reden gemacht. So hat es mehrere Großversuche gegeben, die Computersysteme ganzer Stadtverwaltungen von Windows auf Linux umzustellen, unter anderem ab 2009 in München. 2017 kam der Münchner Stadtrat jedoch in die Schlagzeilen, weil er in einem Hauruck-Verfahren die Rückkehr zu Windows beschloss. Diese Entscheidung wurde sowohl von der Opposition als auch von zahlreichen IT-Experten scharf kritisiert, denn das Projekt hatte das Potential, für öffentliche Verwaltungen wegweisend zu sein. Wenn andere Städte nachgezogen hätten, hätten in München und anderswo Kosten in Milliardenhöhe eingespart werden können, vor allem für dann nicht mehr anfallende Lizenzgebühren (erfahre mehr). Dadurch können Kommunen, die ihre Verwaltung auf Linux umstellen, die eingesparten Mittel für die Sanierung von Schulen, den Bau von Kindergärten, Schwimmbädern und Stadtbibliotheken und für viele andere sinnvolle Dinge verwenden.
Dennoch sind nicht alle der Argumente von der Hand zu weisen, die in München angeführt wurden, allen voran das Kompatibilitätsproblem. Formate wie *.docx, *.xlsx und *.pptx sind de-facto-Standards, mit denen auch große Behörden wie die Münchner Stadtverwaltung (noch) klarkommen muss. Wer dafür kein MS Office zur Verfügung hat, sondern sich mit Behelfslösungen (z. B. Virtual Box) oder anderen Produkten (z. B. LibreOffice) herumschlagen muss, wird schnell die Freude am Linux-Desktop verlieren.
Das führt mich direkt zurück zu meinen eigenen Erfahrungen: Ich kam in meiner zweiten Linux-Phase bei allen Aufgaben, die ich alleine erledigen konnte, ohne MS Office bestens zurecht. Wenn ich jedoch mit Kolleginnen und Kollegen gemeinsam an Publikationen arbeitete, waren das ausnahmslos Microsoft Word-Dokumente. Alle Versuche, sie für LibreOffice zu begeistern, stellten sich als ein aussichtsloser Kampf gegen Windmühlen heraus. Am *.docx-Format kam ich nicht vorbei.
Bei einfachen Textdokumenten ist die Kompatibilität zwischen MS Word und LibreOffice kein Problem. Ganz anders sieht es jedoch bei langen oder komplexen Dokumenten aus. Diese gehören für mich zum Arbeitsalltag, denn Textdokumente mit mehreren Autorinnen und Autoren durchlaufen bis zur Veröffentlichung praktisch immer drei bis vier Überarbeitungszyklen. Hierdurch enthalten sie schon nach kurzer Zeit dutzende Änderungen im „Änderungen-nachverfolgen“-Modus. Und eben in diesem „Änderungen-nachverfolgen“-Modus ist bis heute mit schweren Kompatibilitätsproblemen zu rechnen, wenn mann *.docx-Dokumente in LibreOffice bearbeitet und sie anschließend in MS Word weiter bearbeitet werden.
Um es kurz zu machen: Wissensarbeiter, die regelmäßig mit anderen Wissensarbeitern gemeinsam an Texten arbeiten, sind meiner Erfahrung nach auf Microsoft Word zwingend angewiesen. In meiner Linux-Zeit sah ich mich daher immer gezwungen, Word-Dokumente an einem Windows-Rechner zu bearbeiten. Das hält man mit viel gutem Willen eine Zeit lang durch, aber irgendwann wurde selbst mir der Aufwand zu groß, jedesmal einen anderen Rechner zu starten, nur um ein paar Änderungen in ein Word-Dokument einzutragen. Zerknirscht installierte ich auf meinem Mac wieder das Mac-Betriebssystem, um endlich wieder das ungeliebte, aber in der Praxis doch unentbehrliche MS Office und vor allem das darin enthaltene Programm Word nutzen zu können. Ähnlich wie das Münchner Großprojekt LiMux ist somit auch mein individueller Umstieg auf Linux 2017 gescheitert.
Ich fasse zusammen: Wir stehen aktuell vor der Situation, dass Microsoft, Hersteller des weltweit wichtigsten Betriebssystem Windows, im Bereich Bürosoftware mit MS Office quasi ein Monopol hat. Für das wichtigste konkurrierende Desktop-Betriebssystem – Linux – wird diese Bürosoftware allerdings nicht zur Verfügung stellt.
Es liegt die Schlussfolgerung nahe, dass Microsoft auf diese Weise im Betriebssystem-Markt absichtlich die Konkurrenz ausbremst. Dafür spricht auch die Tatsache, dass ja bereits eine Version von MS Office für Linux auf dem Markt ist, nämlich die für Android. Technisch wäre eine entsprechende Anpassung für z. B. Ubuntu Linux daher vermutlich eine Kleinigkeit.
Man könnte fragen: Ist es nicht weitgehend egal, welches Betriebssystem man verwendet? Warum nicht einfach bei Windows bleiben? Nun, für Privatnutzer, die sich keine großen Gedanken um das Thema Datenschutz machen, mag das vielleicht zutreffen. Alle anderen sollten aber wissen, dass sie spätestens mit Windows 10 in der Regel einen erheblichen Datenabfluss in Richtung Redmond in Kauf nehmen müssen (erfahre mehr). Dieser Datenabfluss wird zum Skandal, wenn er auf Behördenebene erfolgt. Anders als im privaten Bereich haben Bürgerinnen und Bürger hier keine Wahl, ihn zu vermeiden. Das ist nicht nur ethisch hoch problematisch, sondern verstößt schlicht gegen geltende Datenschutzgesetze.
Wie ernst in Sachen Datenschutz die aktuelle Lage mit Windows 10 ist, zeigt die Entwicklung eines so genannten „Bundesclients“. Er soll zukünftig in Deutschland als Windows-Standardversion für Bundesbehörden eingesetzt werden (erfahre mehr).
Vielleicht dämmert den Entscheidern ja irgendwann die Einsicht, dass man eher das Grundübel – die vollkommene Abhängigkeit im Bereich IT von einer amerikanischen Firma – statt die Symptome bekämpfen sollte. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die Auflage für Behörden, ihre Dokumente bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf offene Formate umzustellen (wie z. B. *.odt, das offene Pendant zu *.docx). Dies würde offener Bürosoftware einen wichtigen Anschub versetzen und langfristig vielleicht auch den Weg für den Umstieg auf das Betriebssystem Linux ebnen.
Man könnte sich aber auch ein Beispiel an China nehmen. Dort wird seit einigen Jahren die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems vorangetrieben, das schon jetzt den Marktanteil von Windows-Rechnern erheblich reduziert.
Es basiert auf Linux.
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