Ich finde es faszinierend zu überlegen, wie viele verschiedene Gegenstände wir früher hätten herumtragen müssen, um nur die Grundfunktionen eines einfachen Smartphones zur Verfügung zu haben. Wir haben heute in der Hosen- oder Handtasche ein Gerät bei uns, das nicht nur ein Telefon ist, sondern sich auch jederzeit in einen Wecker, eine Schreibmaschine, einen Taschenrechner, ein Diktiergerät, eine Fotokamera, eine Videokamera (ja, Kinder, das waren einmal zwei verschiedene Dinge), ein Radio, eine Nachrichtenzentrale, eine kleine Bibliothek, einen Zeitungskiosk und einen Schachcomputer verwandeln kann – und vieles, vieles mehr.
Die Tendenz ist eindeutig: immer mehr Funktionen werden in ein Gerät gepackt. Fürs Protokoll: Ich finde das großartig. Wenn ich aus dem Haus gehe, muss ich heute genau drei Dinge einstecken, um für das Leben da draußen ziemlich gut gerüstet zu sein: Geld, Schlüssel und Smartphone. Mit dem Geld und den Schlüsseln mache ich noch das Gleiche wie vor 25 Jahren. Mit dem Smartphone mache ich den ganzen Rest.
Wenn ein Gerät immer mehr Funktionen übernimmt, heißt das zwangsläufig, dass
Geräte, die nur eine Funktion haben, in ein Nischendasein gedrängt werden. Mal ehrlich, warum noch einen Wecker kaufen, wenn das doch auch das Handy übernehmen kann? Und braucht man wirklich noch eine Armbanduhr, um zu wissen wie spät es ist?
Dieser Trend – weg vom spezialisierten Werkzeug, hin zum Alleskönner – hat aber auch eine Kehrseite: Wenn viele Funktionen in einem Gerät gebündelt sind, kann es leicht dazu kommen, dass sie untereinander buchstäblich um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren.
- Während wir telefonieren, ertönt ein Signalton wegen einer sms. (Kürzen wir das Gespräch ab?)
- Während wir ein eBook lesen, klingelt das Telefon. (Gehen wir ran?)
- Während wir schlafen gehen und den Alarm stellen, erscheint eine Mailbenachrichtigung. (Lesen wir die Mail noch schnell?)
Die fast unvermeidlichen Folgen: häufiger Wechsel zwischen Aufgaben, Verlust an Aufmerksamkeit, Fokus, ruhigen Momenten. Eine der Konsequenzen, die ich für mich gezogen habe, war, das Smartphone von meinem Nachttisch zu verbannen. Dort steht jetzt wieder ein guter alter Radiowecker. Der hat zwar auch mehr als eine Funktion. Aber wenigstens kann er keine Mails empfangen.
Wie gehst Du mit Elektronik um, die ständig um Deine Aufmerksamkeit buhlt?
Bildnachweis: Sjoerd Lammers street photography by Sjoerd Lammers on flickr.com (creative commons-Lizenz, bestimmte Rechte vorbehalten: CC BY 2.0)
Drei Kommentare:
1. Geld und Schlüssel? Da wird es auch nicht mehr lange brauchen, bis wir das integriert haben. Das Zauberwort heißt NFC, damit könnten wir bezahlen und – warum nicht? – Türen öffnen.
2. Das Smartphone ist dem PC längst überlegen – in gewisser Hinsicht! Heute ist Umstellungstag bei meinem Provider. Von DSL nach VDSL. Natürlich wieder mal: Es klappt nicht! Ergo habe ich keinen Internetzugriff mehr vom Notebook: Wie? Ich schreibe doch hier! Genau: USB Tethering, mein Smartphone hilft aus!
3. Dein eigentliches Thema ist die zurück Erlangung der Kontrolle. Das ist deutlich spürbar. Das Smartphone hält uns voll im Griff. Am Montag habe ich ein Android-App eines Freundes getestet, das einem vorliest, wenn man ein SMS bekommt und natürlich die eigentliche Message. Was passiert? Mitten im Abteil, auf dem Weg zur CeBIT (!) fängt mein Smartphone an, mich (alle!) anzulabern. Es nennt den Absendernamen und liest den Text der Message vor. Das Ganze ohne die Kontrollfrage, ob man denn das überhaupt möchte.
Was also ist entscheidend? Die Möglichkeit, die Message vorzulesen (eigentlich für’s Auto konzipiert und das völlig richtig!) oder Kontrolle darüber? Gehen wir einen Schritt weiter, dann sehen wir, dass das Regelwerk nach Eintreten eines Zustands für die erforderliche Aktion eine zentrale Rolle spielt. (Im IT Chargon ist das Thema “Business Rule Management”).
Kurz gesagt. Das Smartphone benötigt Zügel mehr als Sporen! (Halt’s Maul, wenn kein Kopfhörer angeschlossen ist!) Das Gerät muss über Regeln unserem Willen unterworfen werden und nicht umgekehrt. Momentan schlägt der Pendel in Richtung “umgekehrt” aus!
Gruß, Martin
Scheine und Münzen haben den Vorteil, dass sie keine digitale Spur hinterlassen. Mein leicht verbogener Haustürschlüssel übrigens auch nicht. Und mit dem kriegt man auch ein Bier auf. Ich denke aber auch, dass die Entwicklung in die Richtung geht, die Du andeutest. Am Ende brauchen wir dann nur noch das Smartphone.