Viele Wissensarbeiter verdienen ihre Brötchen mit dem Schreiben von Texten. Diese lassen sich inzwischen recht gut automatisch auf Rechtschreibung und Grammatik überprüfen. Aber lässt sich auch ihre Lesbarkeit testen? Die Verfechter des so genannten Flesch-Tests behaupten genau dies.
There are ten parts of speech, and they are all troublesome. An average sentence, in a German newspaper, is a sublime and impressive curiosity; it occupies a quarter of a column; it contains all the ten parts of speech—not in regular order, but mixed; it is built mainly of compound words constructed by the writer on the spot, and not to be found in any dictionary—six or seven words compacted into one, without joint or seam—that is, without hyphens; it treats of fourteen or fifteen different subjects, each enclosed in a parenthesis of its own, with here and there extra parentheses, which re-enclose three or four of the minor parentheses, making pens with pens; finally, all the parentheses and re-parentheses are massed together between a couple of king-parentheses, one of which is placed in the first line of the majestic sentence and the other in the middle of the last line of it—after which comes the verb, and you find out for the first time what the man has been talking about; and after the verb—merely by way of ornament, as far as I can make out,—the writer shovels in “haben sind gewesen gehabt haben geworden sein,” or words to that effect, and the monument is finished. (Mark Twain: The awful German language, 1880)
Mark Twain bringt in seiner satirischen Zuspitzung eine Eigenschaft des Deutschen wunderbar auf den Punkt: Man kann in dieser Sprache beeindruckende Satz-Ungetüme von der Leine lassen. Ich bin mit dem Phänomen bestens vertraut, weil ich häufig Texte Korrektur lese: erstens als Hochschuldozent, zweitens als Redakteur einer Verbandszeitschrift. Aber auch in meinen eigenen Texten habe ich immer wieder furchteinflößende Gebilde zu erlegen. Oft heißt das schlicht, vierzehn verschiedene Gedanken statt in einem Satz doch lieber in jeweils einem Satz auszudrücken. Zumindest meiner Erfahrung nach führt dieses Vorgehen ziemlich zuverlässig zu besser lesbaren Texten. Das gleiche dürfte auch auf der Wortebene gelten, ein Bereich, in dem das Deutsche ja bekanntlich ebenfalls zu Wucherungen neigt (Rhabarberbarbara…).
1948 versuchte Rudolf Flesch erstmals für das Englische, die Lesbarkeit von Texten auf Grundlage ihrer durchschnittlichen Wort- und Satzlänge mit einer Formel zu berechnen. Später wurde seine Formel leicht an die Besonderheiten des Deutschen angepasst. In beiden Fällen wird aus der durchschnittlichen Wortlänge und der durchschnittlichen Satzlänge ein Wert errechnet, der (außer in Extremfällen) zwischen 0 und 100 liegt. Je höher dieser Wert ausfällt, umso leichter ist der Text lesbar.
Ich habe mir den Spaß gemacht, einige Textproben von Wissenschaftlern aus meinem Feld zu testen, deren Beiträge ich für sprachlich ausgesprochen schwer verdauliche Kost halte. In der Tat ergaben sich in manchen Fällen Werte zwischen 10 und 15, was etwa der Lesbarkeit einer Bedienungsanleitung entspricht. Meine eigenen Texte erzielten je nach Genre Werte zwischen 30 (grenzwertig) und 50 (in Ordnung). Das Online-Tool, das ich dabei ausprobiert habe, findet sich hier.
Kritiker (vgl. z.B. hier) bemängeln am Flesch-Test, dass man die Qualität von Texten nicht an ihrer durchschnittlichen Wort- und Satzlänge ablesen könne. Sie haben damit natürlich insofern recht, als auch viele andere Faktoren wie Lexik, Idiomatik, Gedankenführung, Nominalstil vs. Verbalstil etc. für die Qualität eines Textes eine wichtige Rolle spielen. Mit einzelnen Beispielsätzen lässt sich die Kritik am Flesch-Test allerdings kaum untermauern. Selbstverständlich können auch kurze Sätze (hoher Flesch-Wert) schwer lesbar und lange Sätze (niedriger Flesch-Wert) leicht lesbar sein. Die durchschnittliche Satzlänge ist entscheidend. Auch das Argument, man könne ja den Flesch-Wert manipulieren, indem man in einen unverständlichen, aus langen Sätzen bestehenden Text kurze Sätze einstreut, halte ich für schwach. Schließlich ist es nicht das Ziel der Übung, einen Text nachträglich auf einen hohen Flesch-Wert hin zu frisieren. Vielmehr geht es darum, schwer lesbare Textpassagen zu finden und sie dann ggf. zu überarbeiten. Insgesamt habe ich daher den Eindruck, dass der Flesch-Test ein interessantes Werkzeug sein kann, wenn man die Lesbarkeit eines Textes grob einschätzen möchte.
Wenn man das Mark-Twain-Zitat herausnimmt, ergibt sich für diesen Blog-Beitrag übrigens ein Flesch-Wert von 44.
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Bildnachweis: Crossing Road Grunge Sign – Welsh Dragon by Nicolas Raymond (creative commons-Lizenz, bestimmte Rechte vorbehalten: CC BY 3.0)
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Ein Einspruch: Gute Bedienungsanleitungen bestehen aus kurzen, klaren Sätzen. Da sollte der Fleschwert eigentlich hoch sein! Wirklich gute gibt es allerdings selten, denn an der Ecke spart fast jedes Unternehmen. Am geschriebenen Wort kann man trefflich sparen…
Absolut einverstanden. Ich vertrete ja nicht die Position, dass Bedienungsanleitungen schwer lesbar sein sollen, sondern stelle nur fest, dass sie es sind. Und das könnte u.a. an zu langen Schachtelsätzen liegen. Für (vermutlich zu viele) wissenschaftliche Texte gilt das auch, und deswegen erzielen sie ähnliche Flesch-Werte.
Empfehlen kann ich Ludwig Reiners Stilkunst. Ob ein Satz von Thomas Mann bei Flesch durchgefallen wäre, das ist gar nicht so wichtig. Eine Regel kann man sich merken. Bilde kurze Sätze, um klar zu bleiben. Sprachmeister wie Thomas Mann beherrschten allerdings die deutsche Sprache so gut, dass seine Sätze wie Sprachgemälde wirken. Doch gibt es nur wenige, die solch ein Sprachgefühl haben. Wer sich kurz und ohne Schnörkel ausdrückt, der schärft auch sein Denken. Denn was man nicht eindeutig ausdrücken kann, das hat man auch nicht verstanden. Allerdings muss es nicht ein Stilproblem sein, wenn man z. B. Hegel nicht versteht. Und ich halte gar nichts von den Zusammenfassern, die glauben, dass sie einen philosophischen Text mal schnell ins verständliche Deutsche übersetzen, so als wäre das einzige Problem die fehlende Sprachfertigkeit des Philosophen. Die Erklärungen der Zusammenfasser sind meist nur alberne Verkürzungen des Textes, die vor begrifflichen Ungenauigkeiten nur so strotzen. Sprache und Denken pflegt man gleichzeitig. Wer nichts zu sagen hat, der braucht dies nicht auszudrücken, nach dem Motto: Ich habe nichts zu sagen, möchte es aber elegant ausdrücken und zwar so, dass es keiner merkt.
Danke für Anregung und Link. Ich habe einmal spaßhalber einen Text aus einem Skriot der Fernuni Hagen durchlaufen lassen – den ich rein inhaltlich schon gut finde, nur eben ein bisschen “trocken” – Ergebnis: flotte 30 Punkte…
@Christian: “Ludwig Reiners Stilkunst” kann man sehr kritisch sehen und auch seine Urheberschaft ist umstritten. Informationen dazu auf “Kritische Ausgabe – Zeitschrift für Germanistik & Literatur”, Kritische Ausgabe 2/2004; http://www.kritische-ausgabe.de/hefte/reich/stirnemann.pdf.
(“… Ein Betrüger als Klassiker Eduard Engels Deutsche Stilkunst und Ludwig Reiners
Im Jahr 1944 hat Ludwig Reiners (1896- 1957) seine Deutsche Stilkunst1 veröffentlicht, seit der zweiten Auflage von 1949 heißt das Buch Stilkunst2 und gilt immer noch als klassisches Werk. In Wahrheit ist es das Werk eines Betrügers. Der ursprüngliche Titel und die wesentlichen Teile des Inhalts stammen nicht von Reiners, sondern von Eduard Engel (1851-1938), einem bedeutenden und erfolgreichen Schriftsteller über Literatur, Sprache und Stil. Ihm hat Anke Sauter vor vier Jahren eine Dissertation gewidmet, die, wie Helmut Glück, ihr Betreuer und Herausgeber, mit Recht schreibt, einen „gewichtigen Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte“ darstellt. …”)