Eine Frage des guten Stils

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Es gilt als guter Stil, wenn man in der E-Mail-Kommunikation einige Regeln beachtet. Die wichtigste wird aber fast immer vergessen.

Stellen wir uns eine Webseite mit folgender Kontaktinformation vor:

Martin Fug

Anwaltskanzlei „Fug & Recht“

Goethestr. 24

10255 Berlin

Wichtiger Hinweis: Wir nehmen aus technischen Gründen nur Postkarten und unverschlossene Briefsendungen an. Bitte gehen Sie daher davon aus, dass Ihre Schreiben von Dritten mitgelesen werden. Vertrauliche Mitteilungen gehören nicht in die Post!

Bei einer Postanschrift käme uns dieser Hinweis nicht nur stillos, sondern geradezu grotesk vor. Wenn man anderen seine E-Mail-Adresse mitteilt, müsste man aber ehrlicherweise genau ihn jedes Mal hinzufügen. Das hat damit zu tun, dass E-Mails bei ihrer Reise von A nach B über viele Server laufen, die oft über die ganze Welt verteilt stehen. An jeder dieser Relaisstationen können sie kopiert und ausgewertet werden – von Geheimdiensten, Firmen oder Hackern. Wir wissen nicht erst seit gestern,
dass das kein paranoides Hirngespinst ist, sondern gängige und – zumindest was Geheimdienste und Firmen angeht – tolerierte Praxis (erfahre mehr).

E-Mails sind also zunächst einmal so vertraulich wie Postkarten oder unverschlossene Briefe: Jeder, der zwischen Sender und Empfänger Zugriff hat, kann sie in aller Ruhe lesen, kopieren und archivieren. Er kann sogar ihren Inhalt manipulieren.

Listen mit Empfehlungen für guten E-Mail-Stil findet man im Internet in
großer Zahl. Auf die meisten Hinweise kommt man mit einer kleinen Portion
gesunden Menschenverstands auch selbst: benutze einen aussagekräftigen Betreff; schicke die E-Mail nur an Empfänger, für die sie von Interesse ist; komme schnell zur Sache; mache deutlich, ob Du eine Antwort erwartest oder nicht (und wenn ja, bis wann); etc. Ein Beispiel für einen solchen E-Mail-Knigge findet sich hier.

Kaum ein Knigge erwähnt aber das Thema Datenschutz. Das wäre schon deswegen sehr wichtig, weil er bei Postsendungen ganz anders funktioniert als bei E-Mails. Bei Postsendungen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass der Absender je nach Vertraulichkeit das Schreiben als Postkarte, in einem unverschlossenen Umschlag oder in einem verschlossenen Umschlag verschicken kann. Alles kann beim Empfänger in den selben Briefkasten geworfen werden. Bei E-Mails ist die Lage grundsätzlich anders: Nur wenn auch der Empfänger darauf vorbereitet ist (um im Bild zu bleiben: nur wenn er einen speziellen Briefkasten hat), kann man ihm vertrauliche Nachrichten schicken.

Vertraulich, das heißt bei E-Mails: verschlüsselt. Allen Tatsachen zum Trotz hält sich leider hartnäckig das Gerücht, E-Mail-Verschlüsselung sei nur etwas für IT-Experten. Das Gegenteil ist der Fall: Es dauert maximal eine Stunde, um die Grundlagen zu verstehen und um ein E-Mail-Programm (ich empfehle Thunderbird) einzurichten – und man kann dabei jede gewöhnliche E-Mail-Adresse verwenden. Aktuell hat man die Wahl zwischen zwei verbreiteten Verschlüsselungsstandards: S/MIME und OpenPGP. Ich empfehle S/MIME, weil dieser Standard von gängigen E-Mail-Programmen (Thunderbird, Outlook, Apple Mail etc.) ab Werk unterstützt wird. Für OpenPGP muss man dagegen zusätzliche Software installieren.

Die Grundlagen der Verschlüsselung mit S/MIME kannst Du hier nachlesen. Probier es aus, es ist leicht! Sobald Du ein Zertifikat zu Deiner E-Mail-Adresse erstellt und es in Deinem E-Mail-Programm installiert hast, kannst Du seinen öffentlichen Teil an Deine Kontakte verteilen, z. B. indem Du alle Deine E-Mails digital signierst. So signalisierst Du: Wer immer mir eine verschlüsselte E-Mail schicken möchte, kann das gerne tun – ich bin darauf vorbereitet! Evtl. kannst Du auch – zusätzlich zu Deiner E-Mail-Adresse – einen kurzen Hinweis in die Textsignatur Deiner E-Mails, auf Deiner Webseite oder auf Deiner Visitenkarte einfügen (z. B. „Nach S/MIME verschlüsselte E-Mails willkommen!“ bzw. „Nach S/MIME oder OpenPGP (ID 0x12AB3456) verschlüsselte E-Mails willkommen!“)

Das, finde ich, ist guter Stil.

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Eine Frage des guten Stils by Jochen Plikat is licensed under CC BY-NC-ND 4.0.

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